mein Begleiter Depression
Meine Depressionen sind wie eine getönte Brille: Sie liegen wie ein Filter über allem, färben meine Wahrnehmung, meine Gedanken und Gefühle. Ich trage diese Brille schon sehr lange, fast mein ganzes Leben. Das war mir natürlich nicht immer bewusst.
Lange Zeit war diese Art der Weltsicht für mich schlicht und ergreifend: normal.
Schon als Kind war ich oft traurig, fühlte eine gewisse Schwere auf mir. Auf Fotos aus dieser Zeit sieht man mich nur selten lachen. Ich habe viel nachgedacht, mich mit anderen verglichen - und natürlich kam ich dabei immer schlechter weg: Die anderen Kinder waren klüger als ich, sie waren fröhlicher als ich. Sie waren liebenswerter. Ich wollte so sein wie sie, wollte, dass mich die Erwachsenen auch gernhaben. Deshalb habe ich immer versucht, meine Schwere zu verstecken - auch vor mir selbst. Anstatt mich ihr zu stellen, hielt ich mich beschäftigt. War unterwegs. Feierte viel. Flüchtete. Verleugnete.
Ich denke, das ist mir gut gelungen. Vielleicht zu gut.
Als Jugendliche wurde ich einmal gefragt, ob ich viel grübeln würde. Grübeln? Das Wort sagte mir nichts. Ich war der Meinung, ich würde einfach viel nachdenken. So wie alle anderen auch. Damals wurde mir ein wenig bewusst, dass all die Sorgen, all die Gedanken, die in meinem Kopf kreisten, vielleicht doch nicht so normal waren, wie ich dachte.
Grübeln also. Ja, das Wort traf es.
Trifft es noch heute. Negative Gedankenschleifen, in denen ich immer wieder feststecke, die mich lähmen, mir alle Energie rauben. Wenn ich nachts schlecht schlafe, morgens mit einem Klumpen im Magen erwache und kaum atmen kann, weil die Angst mich fast erdrückt. Gefangen in einem Zeitloch, verstrickt in meine Gedanken. In diesem Zustand stellen selbst die einfachsten, vielleicht auch unwichtigsten Entscheidungen für mich unlösbare Probleme dar: Soll ich erst duschen? Oder erst frühstücken? Ich weiß es nicht. Und bleibe deshalb sitzen, unfähig, einen Entschluss zu fassen. Stundenlang.
Ja, vielleicht klingt das albern, aber manchmal lache ich hinterher selbst über diese »Probleme«.
Während der Depression aber sind sie da - quälend und real. Trotzdem tat ich lange so, als wäre nichts. Ich funktionierte. Bis es einfach nicht mehr ging. Ich wusste nicht mehr, wo oben und unten war. Und war endlich in der Lage, mir einzugestehen, dass ich Hilfe brauchte.
Ich suchte mir einen Spezialisten, gehe zur Gesprächstherapie. Es fühlt sich oft recht komisch an.
Die Dämonen meiner Vergangenheit holen mich oft ein.
In den schlimmsten, dunkelsten Phasen meines Lebens frage ich mich mehr als einmal, warum ich mir das alles eigentlich noch antue: warum ich mich immer wieder mühsam aufrapple, nur um dann doch wieder zusammenzubrechen?
Warum ich nicht einfach aufgebe. Schluss mache. Endgültig.
Manchmal sind diese Gedanken sehr konkret. Das ist erschreckend, beängstigend - aber irgendwie auch beruhigend. Wie ein leuchtendes Schild »Notausgang« in einem langen, dunklen Flur. Ich habe ihn nie benutzt, diesen Notausgang. Aber ich kann es verstehen, wenn andere es tun.
Leider wird das immer wieder vergessen: Depressionen können eine tödliche Krankheit sein.
Ich bin froh, dass ich immer wieder die Kraft finde, weiterzumachen.
Ob ich die Depressionen jemals ganz loswerde? Ich weiß es nicht. Aber ich bin neugierig, was mir das Leben alles noch zeigt.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Danke für das Feedback