Jede Depression ist anders. Jeder Mensch ist anders.






Aber ich kann erklären, wie es sich für mich anfühlt, mit einer Depression zu leben. Ich bin weder faul, noch lebensfremd, noch dumm oder unwillig. Ich bin ein Mensch, der jeden Tag, mit sich selbst und den Alltagsaufgaben kämpft, so gut ich es eben kann. Ich bin ein Mensch wie du und jeder andere, den man lieb haben kann, mit denen man sich unterhalten oder Meinungen austauschen kann, der Vertrauen und Wertschätzung braucht, der lachen kann– und so vieles mehr. Und ja, ich brauche auch Hilfe, ich braucheHalt, ich brauche Verständnis und ehrliches Mitgefühl, ich brauche Interesse und Akzeptanz. Aber wer, in Gottes Namen, braucht das nicht? Nehmt mich als Mensch einfach so an wie ich bin. Mehr braucht ich nicht.
Alle Menschen gehen ihren Weg durch das Leben, durch Höhen und Tiefen. Und alle lernen ganz natürlich aus diesen Erlebnisse und Erfahrungen. Sie verlieren aber dabei in der Regel nicht die ganze Freude am Leben und verlieren auch nicht für lange Zeit die Leichtigkeit. Eine Depression bringt jedoch genau diese Dinge aus dem Gleichgewicht. Ich möchte euch nun anhand eurer eigenen Erinnerungen und Erfahrungen, MEIN Leben mit der Depression erklären, so gut ich es eben kann.
Kennst ihr dieses Gefühle?
Ihr ward sicherlich schon einmal krank, erkältet. Ihr seid am Morgen erwacht und fühltet euch so unendlich müde und schlapp. Nur mit Mühe seid ihr dann aus dem Bett gekommen. Ihr habt Euch an den Tisch gesetzt und ohne Appetit ein klein wenig gegessen. Eure Gedanken kreisten nur um Euer Bett. Ihr hattet das starke Bedürfnis, Euch wieder zu verkriechen, zu schlafen und eure Ruhe zu haben.
Und nun stellt euch vor, ihr wacht jeden Morgen so auf.
Erinnert Euch weiter an diese Tage. Ihr legt euch wieder schlafen und irgendwann werdet ihr wach, aber ihr fühlt immer noch zerschlagen und zu nichts in der Lage. Ihr rettet euch auf das Sofa. Dort verbringt ihr irgendwie den Tag, mit nichts Sinnvollem, eben einfach so, weil ihr keine Kraft und keinerlei Antrieb habt. Euch ist egal, wie es in eurer Wohnung heute aussieht, morgen ist ja auch noch ein Tag und dann wird es besser sein.
Und nun stellt euch vor, das ist nicht nur sind viele Tage in der Woche, im Monat, im Jahr so und ihr habt eben nicht die Gewissheit, dass es besser wird.
Ihr seid sicher auch schon einmal krank geworden, so von einer Stunde auf die andere. Eben ward ihr noch fröhlich und voller Tatendrang – und dann mit einem Mal ward ihr schlapp, euer Kopf machte dicht und ihr ward mit eurem Tun völlig überfordert, eben krank.
Nun stellt euch vor, das passiert euch an vielen Tagen, in vielen alltäglichen Situationen, bei Freunden, bei Familientreffen … Es passiert Euch, immer und immer wieder.
Wenn die Angst euch täglich begleitet
Erinnere euch an eure Prüfungen oder wichtigen Terminen. Sicher haben sie euch manchmal sehr beansprucht und Tage zuvor ward ihr aufgeregt, habt euch Gedanken gemacht, ob ihr es schaffst, habt Angst gehabt zu versagen, habt gedacht, ihr habt euch nicht gut genug vorbereitet ... Und nun stell dir vor, diese Angst, dieser Gedankenstrudel begleitet euch Tage und Nächte und holt ständig alle eure Unzulänglichkeiten, eure Fehler und Ängste hervor. Stell euch vor, es ergeht euch so bei den kleinsten Herausforderungen des Alltags. Ihr malt euch ständig in Gedanken aus, wie es sein wird, fragt euch, ob ihr es schaffen werdet, was die anderen von euch denken. Oder sicher hattet ihr schon einmal ein Problem. Ein Problem, das euch verrückt gemacht hat. Ihr habt euch gedanklich im Kreis gedreht, eure Fehler, euer Verhalten, eure Gefühle (auch Schuldgefühle) und euren Selbstwert angezweifelt, habt euch allein gelassen gefühlt und keinen Ausweg gefunden. Doch irgendwann hattet ihr die Lösung und konntest das Problem lösen sowie vergessen. Nun stellt euch vor, die Gedanken hören über Wochen nicht auf, obwohl die Probleme gelöst oder unveränderbar (weil Vergangenheit) sind. Ihr werdet sie nicht los, immer wieder fallen sie über euch her. Immer wieder stößt euch die Depression, euer Unterbewusstsein, auf Dinge, viele Dinge aus euer Leben, die ihr nie wirklich bewältigt habt. Ihr seid in diesen Gedanken gefangen, Stunden, Tage, Wochen.... einfach immer und immer wieder.
Verletzungen, die mich nie loslassen
Oder sicherlich ward ihr schon einmal menschlich sehr enttäuscht, von einem guten Freund oder guten Kollegen. Es hat euch weh getan. Ihr habt euch vielleicht auch leer gefühlt. Ihr habt euch Gedanken gemacht. Euch gefragt, warum gerade ihr das erleben musstet. Ihr habt euch abgewendet und habt euch vielleicht auch für ein paar Tage zurückgezogen, wolltest allein sein. Und nun stellt euch vor, dass die Depression euch solche Augenblicke, solche Situationen wieder hervor holt, euch eure Verletzungen zeigt, immer wieder. Eure Gedanken drehen sich um: warum, hätte, könnte, aber.... und diese furchtbare innere Leere bleibt in euch. Euer Rückzug, euer alleine sein, wird zu eurer Sicherheit im Leben.
Oder aber, ihr habt euch sicherlich schon einmal in einer Situation befunden, in der ihr eure alten Wegen verlassen und aus eurer Sicherheit, herausgehen musstet. Ihr habt euch nicht wohl gefühlt, wärd am liebsten in den Boden versunken, ward unsicher. Ihr habt überlegt: mache ich es oder lieber doch nicht, schaffe ich es oder doch nicht, bin ich bereit dafür oder lasse ich es lieber, will ich es wirklich oder will ich es nicht? Und nun stellt euch vor, diese Situation fällt immer über euch her, wenn ihr eure Wohnung, euer Zuhause verlassen wollt. Dabei ist egal wofür. Ob ihr „nur“ einkaufen wollt, eine Freundin trefft – ganz egal, eure Gedanken fahren Achterbahn und springen zwischen einem Ja, einem Jain oder Nein.
Wenn man nie genug ist
Sicher ward ihr auch einmal sehr unzufrieden mit euch, habt euch nicht gut genug, vielleicht sogar als Versager gefühlt, weil ihr etwas nicht geschafft habt, oder viel später als andere getan hast. Trotzdem war es euer Weg und ihr habt es geschafft, damit glücklich zu sein. Nun stellt euch vor, diese Gedanken würden eure Gedankenwelt komplett bestimmen und eure Welt regieren. Ihr würdet immer und immer wieder auf sie stoßen. Ihr würdet euch, sehr oft, als nicht gut genug fühlen, obwohl ihr genau wißt oder gelernt habt, ihr hast euer Bestes gegeben.
Und ein letztes noch: Sicherlich gab es schon eine Situation, die unvorbereitet über euch herein gebrochen ist. Die euch überfordert und hilflos gemacht haben. Ihr habt sie gemeistert und wahrscheinlich wieder vergessen.
Nun stell euch vor, dass genau diese Überforderung und Hilflosigkeit, euch in vielen alltäglichen Dingen befällt – beim Einkaufen, beim Auto oder Straßenbahn fahren, bei einem Gespräch, bei einer Gruppenunterhaltung, bei Auseinandersetzungen, bei Streit oder einfach bei unvorbereiteten Dingen, die eben im Leben passieren. Nichts wirklich Schlimmes, aber ihr dreht euch sofort gedanklich im Kreis und findest da nicht heraus.
Ich denke, ich könnte noch weitere Situationen aufschreiben, die euch selbst bekannt vorkommen, die euch schon einmal erlebt und gefühlt habt. Es gibt so vieles, was die Depression im Leben beeinflusst. Und das tut sie in einem gewaltigen Ausmaß, denn ihr habt euch jetzt von Absatz zu Absatz gehangelt, erinnert und gefühlt. Habt euch jede Situation einzeln angeschaut.
Doch die Depression bringt das alles zusammen in meine Lebenswelt.
Und doch sage ich euch: Ich will leben! Ich weiß noch, das Leben kann auch schön sein und an manchen Tagen kann ich es erleben. Ich werde weiter lernen, mich selbst weiter kennen lernen, lernen ich selbst zu sein, mich nicht zu verbiegen. Schritt für Schritt, mit unendlicher Geduld, immer in der Hoffnung, dass ich die Depression besiegen kann, eines Tages.

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