Ich sage Danke Depressionen..
Ja, richtig gelesen. Ich bedanke mich bei meiner psychischen Krankheit.
Sie begleitet mich seit einigen Jahren.
«Danke» sage ich aber erst seit wenigen Monaten.
Denn je weiter ich auf meinem Weg gehe, je mehr ich verstehe und lerne, übe und ändere, desto besser werde ich darin, auch die positiven Seiten an meiner Geschichte und meinen Erfahrungen zu sehen.
Das lässt die negativen Seiten nicht verschwinden.
Es löscht nicht die Momente, Tage und Phasen, in denen ich keine Lust mehr habe, zu kämpfen, die, in denen ich mich einfach nur verkriechen, aufgeben, anders sein möchte.
Aber auch – oder vielleicht besonders dann – hilft diese Dankbarkeit, nicht komplett in der Hoffnungslosigkeit zu versinken.
Mein Weg zum Danke
Das ging weiß Gott nicht von heute auf morgen. Das war ein langer Prozess. Ein Prozess, in dem ich viel gelitten, geflucht, geschimpft, geweint und gekämpft habe; in dem ich versucht habe, mich selbst zu zerstören; Verzweiflung und Suizidgedanken meine ständigen Begleiter waren; in denen ich jahrelang eine Maske getragen, ein Doppelleben geführt, mich verstellt, versteckt und geschämt habe.
Es vergingen Jahre bis ich erfuhr, dass ich nicht komisch,
schwach, anders, falsch, dumm bin, sondern krank. Ab dem Zeitpunkt, an
dem ich meine Diagnose bekam, änderte sich alles. Wenn auch nicht
sofort. Aber ich hatte nun einen Ansatzpunkt zur Veränderung. Bis zum
Danke dauerte es weitere Jahre. Jahre, in denen ich viel Zeit
und Arbeit in mich steckte, Therapien machte, mehr und mehr über mich
und meine Begleiter lernte und verstand, in denen es Rückschläge und
Fortschritte gab, in denen ich einfach nur «normal» sein wollte, wie
alle anderen.
Und dann, plötzlich, vor wenigen Monaten, nach vielen
Jahren krank, nach Jahren harter Arbeit, schlich sich das erste Mal
ein «Danke» an.
Ich hab es weder gleich erkannt noch sofort verstanden. Aber nach und nach kam zu all dem Kämpfen, zu all dem Leid, zu all den Kompromissen und Abstrichen die Erkenntnis hinzu, dass ich auch ganz schön gewachsen bin. Dass ich viel gelernt habe – über mich und das Leben. Dass ich einiges verstanden habe.
Ich bin dankbar …
… mich so sehr über die kleinen Dinge im Leben freuen zu können.
… zu wissen, was ich schon alles geschafft habe, wie stark ich eigentlich bin, dass ich mir immer wieder gezeigt habe, dass ich doch wieder aufstehen kann.
…weil ich durch meine Erfahrungen erfahren habe, was im Leben wirklich zählt, was wichtig ist. Dass keine Substanz, kein Gegenstand, kein Titel oder Kontostand dich glücklich machen kann, wenn etwas in dir nicht glücklich sein kann.
… dafür, dass die Depression mich so empathisch, so leidenschaftlich, so kreativ macht und dafür sorgt, dass es mit mir nie langweilig wird.
… dass ich so viel über mich, meine Gefühle und wie und warum ich so ticke, wie ich ticke, lernen durfte.
… wie sehr Achtsamkeit mein Leben verändert hat, wie viel näher ich heute bei mir bin, wie sehr sich mein Verhältnis zu mir verändert hat.
Fluchen erlaubt
Nein, ich will damit nicht sagen, dass ich froh bin, krank zu sein oder dass man an allem immer nur das Positive sehen soll. Denn natürlich fluche ich – bis heute – oft, wünschte mir, hier und dort anders zu sein, es einfacher zu haben. Aber neben dieser Sichtweise gibt es eben mittlerweile auch die andere. Die, bei der ich mich darauf konzentriere, was gut ist. Ohne das Schlechte weg- oder kleinzureden, es zu ignorieren oder auszublenden. Das alles gehört zu mir.
Leider wird es – besonders wenn es um psychische Krankheiten geht – doch schnell einfach nur negativ.Dabei weiß ich inzwischen auch, wie viele Betroffene eine ähnliche Art der Dankbarkeit entwickelt haben.
Jeder Einzelne sagt, dass sich diese Erkenntnis, dieses Gefühl nicht von heute auf morgen einstellt. Dass es ein Prozess ist, den man nicht erzwingen kann.
Sondern etwas, das eines Tages da ist – und dann auch nicht mehr weggeht.
Diese «positive» Seite von Krisen und Krankheiten wird leider viel weniger diskutiert und angesprochen als all das Schlechte.
Vielleicht regt dieser Beitrag den ein oder anderen von euch dazu an, auch mal ein bisschen auf die Suche zu gehen.
Nach Dingen, die sich für euch positiv entwickelt haben, über die ihr froh, für die ihr dankbar seid.
Und wenn ihr (noch) nichts findet, dann ist das auch okay.
Dann seid ihr einfach noch auf dem Weg, habt aber jetzt ein Zwischenziel, von dem ihr wisst, dass es höchstwahrscheinlich eines Tages unerwartet vor euch liegen und ab sofort begleiten wird.
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