Der Schmerz, den ich nicht verarbeite, kann mich ein Leben lang verfolgen…



Ich heile, wenn ich dazu bereit bin.
Ich erkenne das vertraute, dumpfe Gefühl in meinem Bauch – als ob etwas nicht in Ordnung ist, auch wenn ich nicht genau sagen kann, was es ist. Ich fange an, eine Inventur meines Lebens zu machen.
Ich zähle meinen Job auf, mein Gehalt, meine Freunde, was der und der von dann und dann in meinem Leben jetzt über mich denken würde, mein schönes neues Profilfoto auf Facebook.
Die Einzelteile setzen sich zu einem Bild zusammen, das dieses Gefühl auslöschen sollte.

Und dennoch.
Ich gehe von diesem Schmerz behindert durchs Leben. Er schwillt an und stürzt herab. Ich werde von den Nachrichten oder meinem Job oder von Facebook abgelenkt, oder von etwas, dass mich kurzfristig ein bisschen mehr beängstigt.
Es geht so weiter, bis ich eines Tages feststelle, dass ich von einem Schmerz getrieben und heimgesucht werde, den ich nicht ganz entziffern kann. Langsam zermürbt er mich. Es ist schwerer aufzustehen. Es ist schwerer rauszugehen.
Es ist leichter zu essen, und dann etwas mehr zu essen. Oder vielleicht shoppen, oder Fotos von mir auf Instagram posten. Jeder hat ein anderes Laster.
Je mehr ich von dem kleinen, beängstigenden Gefühl verwirrt bin, das ich nicht erklären kann, desto schlimmer wird es. Und je schlimmer es wird, desto überzeugter werde ich, dass es eine Warnung vor dem ist, was kommt.
Ich fange an, Gedanken mit diesem Gefühl zu verbinden, Furchtgeschichten. Die Geschichten, stelle ich fest, sind unlogisch.
Ich überreagiere. Ich bin überzeugt, dass meine Welt kurz vor dem Untergang steht und dieses “Bauchgefühl”, von dem mir implizit so lange gesagt wurde, dass ich ihm vertrauen soll, mich einfach warnt, in Deckung zu gehen.
Die Sache mit dem Leben ist, dass meine emotionalen Erfahrungen, wenn ich sie nicht abschließe, bei mir bleiben.
Was ich im Moment nicht sehen kann:
Es gibt nichts, das nicht stimmt. Tatsächlich stimmt sogar alles, was auch der Grund ist, warum ich mich endlich sicher genug fühle, um zu fühlen, was ich wirklich fühle.
Ich muss aufhören zu projizieren. Aufhören Geschichten zu erzählen. Diese dumpfen, beunruhigenden Gefühle gehören nicht zur Zukunft – sie gehören zur Vergangenheit. Ich habe sie die ganze Zeit mit mir mitgetragen.
Die Sache mit dem Leben ist, dass meine emotionalen Erfahrungen, wenn ich sie nicht abschließe, bei mir bleiben. Sie bleiben bei mir wie Essen, das ich nicht verstoffwechseln kann, wie Kleidung, die ich nie geschafft haben einzupacken und an den Straßenrand zu setzen.
Diese subtilen Gefühle sind unvollständige Emotionen, ungelöste Probleme. Sie sind Signale, ja – aber Signale der Räume, in denen ich noch nicht frei bin.
Wenn ich zu heilen bereit bin, werde ich mich an einem sehr sicheren Ort hinlegen und mich auf diese angespannten Gefühle konzentrieren müssen. Ich lasse mir ihren Ursprung zeigen. Ich werde Momente sehen, die ich vergessen habe, Gefühle, von denen ich vergessen habe, sie je gefühlt zu haben.
Ich werde die Vergangenheit in Lidschlägen und Vignetten sehen. Langsam, mit der Zeit, werde ich zu dem erwachen, was wirklich falsch ist, was der Teil von mir ist, der abbrechen musste um eine Mauer zu bauen, weil dahinter eine Wunde war, von der ich noch nicht wusste, wie man sie heilt.
Wenn ich bereit bin, werde ich hinter diese Mauer treten. Ich werde wissen, dass die Wut, die Traurigkeit und die Angst ein Schleier sind, ein Trigger, der mich zu wecken versucht und nicht, mich K.O. zu schlagen.
Ich werde weinen müssen. Ich werde um die 13-jährige weinen müssen, der das Herz gebrochen wurde, um die 16-jährige, dessen Freunde gemein zu ihr waren. Ich werde um das trauern müssen, was ich verloren habe und wann ich es verloren habe.
Ich werde in der Zeit zurückgehen und mich als erwachsener Mensch in diese Erinnerungen begeben müssen, und meinem kindlichen Ich sagen, was es in diesem Moment sagen musste, auch wenn es nicht die Worte oder den Mut dazu fand.
Ich werde das tun, immer und immer wieder, und langsam werde ich realisieren, dass ich leichter werde. Ich lasse heraus.
Auch wenn ich die Zeit nicht ändern kann, ändere ich auf irgendeine Art meine Geschichte.
Ich werde schwitzen müssen. Ich werde mich strecken und meinen Körper bewegen müssen, und genau darauf achten, wo ich verspannt bin und was sich unbequem anfühlt, und wo ich all diesen Schmerz aufstaue und aufbewahre.
Ich werde zittern müssen. Ich werde mich auf den Boden legen und buchstäblich alles auszittern müssen, was ich in mir halte. Ich werde zulassen müssen, mich verletzlich und klein zu fühlen – was schlussendlich die beiden Gefühle sind, gegen die ich mich am meisten schützen wollte.
Auch wenn ich die Zeit nicht ändern kann, ändere du auf irgendeine Art meine Geschichte.
Ich werde mich ergeben müssen. Durch Tränen und Schweiß und Zittern und Bewegen werde ich aufhören, es zu bekämpfen. Ich werde das Leben so sehen, wie es war, damit ich es sehen kann, wie es ist: anders, erfüllt von Hoffnung und Potenzial.
Ich werde aufstehen und meine Welt wird sich zu verändern beginnen, wie langsam auch immer. Ich werde Beziehungen verlassen und andere beginnen. Ich werde jemanden anrufen, den ich lange nicht gesprochen habe.
Ich werde plötzlich den Impuls haben, einen neuen Kurs zu besuchen, und ich werde eines Tages d anfangen zu schreiben, lesen, draußen zu sitzen und Wasser zu trinken, dankbar zu sein für diese Dinge.
Ich werde ein wenig besser schlafen. Langsam und allmählich werde ich anfangen, zu mir selbst zurückzukehren. Ich werde dieses emotionale Feuer betreten und alles abbrennen, was meinen Kern davon abhält, wirklich in der Welt zu sein.
Dann werde ich wissen, dass ich weinen muss, wenn ich jemanden verliere. Wenn ich frustriert bin, muss ich frustriert sein. Wenn ich etwas sagen will, musst ich sprechen.
Beim Heilungsprozess lerne ich nicht nur, wie ich zurückgehe und beende, was ich nicht beendet habe. Ich lerne auch, wie ich nach vorne dränge, wie dichintensiver und gegenwärtig lebe, wie ich meine Erfahrungen in Echtzeit verarbeite.
Je mehr ich das tue, desto mehr erwache ich und lasse mich im Leben blicken. Ich fange an, wieder zu sprechen, wieder zu fühlen, wieder zu sein. Ich kann tanzen, wenn die Musik spielt, weinen, wenn ich traurig bin, ein Risiko eingehen, auch wenn es beängstigend ist.
Wenn ich mich stark genug fühle, mir anzusehen was nicht stimmt, fange ich an, meine Seele auszugraben. Sie war immer da, ich war nie verloren.
Sie war nur begraben unter den Jahren und Schichten der Identitäten und Stille und Überzeugungen und Ideen, die sich wie ein Schild an mich gehängt haben. Ich war nie verloren. Ich war nur versteckt.
Und all die Zeit, die ich so unwohl verbracht habe, war nur mein tiefstes Selbst, das versucht hat, mit mir zu reden, mich an seine Gegenwart zu erinnern.
Es war nur mein Kern, der mir sagte: Mach weiter, es gibt mehr im Leben als das.

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